Wie ich in Portugal bei Freunden vielsprachig zur Ruhe kam

Wie dereinst im alten Rom, denke ich mir, als ich auf einem steilen, sandigen Kopfsteinpflaster wandernd endlich vor meinem Ziel stehe: dem “Pilgrim´s Rest” in Vila Nova de Cerveira, einer Pilgerstätte inmitten des Jakobsweges. Wysteria – Blauregen wächst um das Tor und begrüßt mich.

Das Eisentor öffnet sich quietschend und gibt den Blick des neugierigen Pilgers auf einen alten, kleinen Hof mit verwittertem Pinienholz-Scheunentor frei. Darüber breitet sich eine hellgrüne Decke aus wildem Wein aus und führt bis zum Patio. Später erklärt mir der Hausherr und Österreicher Tom Stuppner voller Stolz, dass dies sein “Galizien-Sunset Lounge” sei, da man von dort aus die Sonne über Galizien verabschieden könne.

Die Sonne geht hier in Portugal auf – und in Galizien unter, Tag für Tag und Nacht für Nacht. Ist das hier ein Ort für Grenzgänger ? Ein Ort, der vereint ?

Ich erklimme die gefühlt Jahrhunderte alten, hohen und schiefen Steinstufen. Hat der Pilger diese überwunden, erwartet ihn ein abend-besonnter Steinplatz vor dem Eingang des Hauses. Rechts neben der Haustüre geht eine weitere hohe Steinstufe zur “Lounge” ab, einer riesigen selbst gebauten Sofa-Konstruktion aus Paletten und Polstern. Abends wird dieses gemütliche Plätzchen von einer bunten Lichterkette beleuchtet.

Eine leichte Brise durchzieht diesen ruhigen Ort. Der Pilger kann durchatmen.
Hier herrscht ein eigenes Mikroklima durch das dahinterliegende, schützende Gebirge und das nach vorne abfallende Terrain, das sich bis auf Meeresniveau zum Fluß Rio Minho erstreckt. Dieses Gewässer ist etwas Besonderes, denn es vereint: es verbindet Portugal und Spanien, und es fließt in den Atlantik.

Der Besitzer dieser Pilgerstätte ist also Tom Stuppner, ein Österreicher aus Mattsee im Salzburger Land. Er hat diesen Platz von einem Freund erhalten, der vor Jahren verstorben ist und dessen letzter Wunsch an Tom war, diesen Ort für Pilger zu bewahren. Tom hat diesem Wunsch entsprochen und seine Heimat hinter sich gelassen. Dort, im Salzburger Land, hat er ein Zentrum für Heilmassage und einen Nepal-Shop aufgebaut und beschäftigt dort einige Mitarbeiter.
Nun leitet er seine Unternehmen von Vilanova de Cerveira aus, führte sie durch die Lockdowns der Corona-Krise und baut ebendort sein Pilgrim´s Rest als Pilgerstätte, Urlaubsdomizil und Seminarzentrum auf.

Tom´s Ehefrau Usha ist Nepalesin, ihr kleiner Sohn Akhsobhya wird dreisprachig erzogen: englisch, deutsch und nepalesisch. Alle drei lernen nun auch portugiesisch, und ihnen zuzuhören ist ein Spaß für die Ohren – alle vier Sprachen vermischen sich in einer kunterbunten Weltsprache. So fühlt sich auch dieser Ort an: viele Kulturen fließen zusammen und es entsteht ein gemeinsamer Spirit.

Überall hier spürt man diesen open-minded spirit. Die Gastgeber sind offen, herzlich – weltoffen.
Der Pilger steht also vor dem Eingang des Hauses. Das erste, was ihn nach einem freundlichen Willkommen erwartet, ist ein kühles Getränk seiner Wahl. Zeit zum Verschnaufen gibt es hier genug. Der weitläufige, wildromantische Garten mit Feigenbäumen, Birnen- und Zitronenbaum und vielen lauschigen Ecken lädt zum Verweilen ein. Ab und zu fällt eine reife, süße Feige vom Baum, oder eines der beiden Hühner Agathe und Beate gackert an einem vorbei.

Hier verlernt man das Werten, das Einteilen, das hektische “what´s next”. Heute noch strukturiert und getrieben, ist man schon morgen so entspannt, daß der “monkey mind”, unser ewig plappernder Gedankenstrom, verstummt. Entspannung macht sich breit.
Hat man das große Glück und der vielbeschäftigte Wirt Tom hat Zeit, kann man ihn fragen, ob er einem den riesigen Garten zeigen kann, der das Grundstück erweitert. Dann bleibt einem endgültig der Mund offen: dank einer Bewässerungsanlage gedeihen hier Obst und Gemüse, welches von der Hausherrin frisch nach nepalesisch-österreichisch-portugiesischer Art zubereitet auf dem Teller des hungrigen Wanderers landet.
Das Trinkwasser kommt aus der eigenen Quelle. Wer will, kann bei Schönwetter unter dem Sternenzelt im Schlafsack in der Lounge (wir erinnern uns: das Palettensofa) übernachten.
Das Meer ist etwa fünfzehn Minuten entfernt, der kleine Ortskern von Vilanova de Cerveira ist zu Fuß in weniger als einer Viertelstunde erreichbar. Für Wanderer ist das kein Problem. Sportliche können sich ein hauseigenes Fahrrad schnappen und den Grenzfluß Rio Minho entlangradeln – und sogar über die Brücke ins benachbarte Spanien radeln.

Nur der Weg zurück ist beschwerlich, denn das Pilgrim´s Rest liegt auf einer rumpeligen, antiken Römerstraße mit steilem Anstieg.
Doch sind Pilger die Anstrengung nicht gewohnt ? Eines steht fest – nach der Herausforderung des Anstieges wartet das multikulturelle, weltoffene, fröhliche, bunte und familiäre Ambiente des liebevoll geführten Pilgrim´s Rest. So manch ein Pilger kehrt freudig hierher zurück, denn – hier kannst Du Dich wahrlich niederlassen.
Deine Leo Coach
Mag. Waltraud Leobacher
auf Reisen 🙂